Die Kraft des positiven Denkens

Dr. med. Andres Bircher
­­­­­­­­­­­­­­­Nach langen Zweifeln an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen schrieb der französische Philosoph René Descartes im Jahre 1641 in seine „Meditationes de prima Philosophia“ den berühmten Satz: „Ich denke, also bin ich!“ (Ego cogito, ergo sum). Beim Denken beschäftigen wir uns mit Vorstellungen, Erinnerungen, Bildern und Begriffen, mit dem Ziel zu neuer Erkenntnis zu gelangen.

Denken kennt viele Arten: logisch-analytisches Denken, dialektisches Denken (Hegel, 1804), das die naheliegende Lösung stets mit ihrem Gegenteil vergleicht, intuitives Denken (Piaget), das aus der Tiefe des Unbewussten zu Erkenntnissen gelangt: aus Bildern, Klängen, Gerüchen, Gefühlen, Empfindungen und Phantasien, Illusionen, die sich assoziativ aneinanderreihen.

Unbemerkt ist unser Denken und Wollen sehr oft von Intuition gelenkt. Manch grosse Erfindung und wissenschaftliche Erkenntnis offenbarte sich im Traum.

Doch gibt es auch ein synthetisches Denken (von Humboldt / Schlegel). Synthese ist die Logik der Weisen, die Fähigkeit nicht nur das Eine, sondern die grossen Zusammenhänge, das Ganze zu erkennen. Diese Kunst ist selten geworden, denn in Schulen und Universitäten wird sie kaum mehr gelehrt. Durch eintrainieren fertiger Antworten, Tests und Prüfungen wird an ihrer Stelle ein Reflexdenken (Nietzsche) eingeübt. Dabei antwortet das Kind ohne die Schritte bewusster Intelligenz. Die Schnelligkeit, in der es antwortet, wird von den Lehrern mit Intelligenz verwechselt. 

Doch ist Intelligenz etwas ganz anderes, nämlich die Fähigkeit, durch bewusstes Denken zu Erkenntnis zu gelangen.

Meist werden negative Gedanken nicht akzeptiert. Darum wird in Seminaren und zahlreichen Schriften die Methode „positives Denken“ geübt. Durch Autosuggestion oder mittels Hypnose wird die systematische Verleugnung negativ besetzter Gedanken eintrainiert, mit dem Ziel, Hemmungen, Ängste, Schüchternheit, Traurigkeit, Bitterkeit oder Wut auszublenden.

Diese Art angelernten positiven Denkens kann sehr gefährlich sein. Sie spaltet unsere Persönlichkeit, denn die verleugneten Inhalte sind nicht aus unserer unbewussten Seele gelöscht. Uns scheint, als gehörten sie nicht zu uns. Unweigerlich fallen sie mit grosser Macht über uns her, als Verfolgungsangst, als gefährliche Bedrohung.

Philosophen wie Sokrates, Descartes, Kant, Nietzsche und Hegel kämpften in ihren Schriften darum, der Menschheit Logik und Vernunft beizubringen.  Doch bleiben unsere Gedanken, unser Wille und Handeln so lange unlogisch und unvernünftig und durch unsere tiefsten, unbewussten Illusionen und Ängste geprägt, als uns diese nicht bewusst geworden sind. So geschah es, dass preussische Generäle Millionen Männer in den Grabenkrieg sandten, als längst klar geworden war, dass dieser nicht zu gewinnen war. So  geschah es, dass am Ende des ersten Weltkrieges, auf der Basis massivster Kränkungen des deutschen Volkes durch die Alliierten und der Ausbeutung der Armen durch die Reichen, die Massenhysterie des Nationalsozialismus Millionen Menschen in den Tod stürzte.

Positives Denken zu lernen ist möglich. Der einzig mögliche Weg dazu ist, dass wir die Wahrheit in uns suchen, dass wir unser Bewusstsein über unsere eigenen Illusionen vertiefen, des Bewusstseins über uns selbst. Nur so können wir dem Zeitgeist entrinnen und ein unabhängiges, freies, unbeeinflussbares logisches Denken entwickeln, das positive und negative Inhalte gleichermassen erkennen und in Beziehung setzen kann. Ein Denken, das sich der Fähigkeit nähert, die Wahrheit der Welt in uns und dadurch die Welt um uns zu erkennen: ein Weg zu neuer Freiheit, der sich lohnt.

Tipp:
Suchen Sie im Negativen das Positive, im Positiven das Negative, im Ganzen das Einzelne, im Einzelnen den Zusammenhang mit allem anderen, mit dem Ganzen. Hinterfragen Sie besonders kritisch, was Ihnen klar erscheint, besonders dann, wenn es Worten und Gedanken, dem Handeln der Allgemeinheit, der Politiker entspricht.  Hinterfragen Sie die Axiome Ihres Willens und Tuns. Suchen Sie im Schlaf nach Ihren Ängsten und Wünschen, der versteckten Illusion, die bis dahin Ihr Leben lenkte. So öffnet sich eine neue Sicht, zeigen sich neue Wege.

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