Gesichter der Melancholie

Dr.med. Andres Bircher
Die Depression hat viele Gesichter. Sie ist eine schwere Krankheit, an der 4-15% durch Suizid sterben.

Medizinisch wird sie definiert als Niedergeschlagenheit, Einengung der Gedanken, Verlust an Realitätssinn, an Entscheidungsfähigkeit, Verlust affektiver Resonanz, Freudlosigkeit mit innerer Leere, Hilflosigkeit, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen, geistiger Hemmung, Grübelzwang , Hoffnungslosigkeit, Befürchtungen, Hypochondrie, Ängste, Schlaflosigkeit und sozialem Rückzug. Das Denken depressiver Menschen ist verlangsamt und eingeengt. Suizidgedanken werden bei Agitiertheit gefährlich, da der Antrieb gesteigert ist und sich gegen das eigene Leben wenden kann. Besonders Männer leiden an agitierter Depression, doch erkennt dies nur jeder Zweite Betroffene, die Andern agieren so lange sie können in übersteigertem Leistungsverhalten bis zum Zusammenbruch, dem dritten Stadium des Burn-out Syndroms. Bei dieser „larvierten Depression“ bleibt die Krankheit hinter einer Maske des fast übermässig „funktionierenden“ Menschen versteckt. Darum wird das wahre Gesicht, die Innenwelt des Menschen oft von niemandem erkannt, bis sich alle über den plötzlichen Suizid dieses „erfolgreichen“ Menschen wundern. Oft trägt das Gesicht der Depression das Bild einer somatischen Krankheit, einer Polyarthritis, einer Fibromyalgie oder Verdauungsstörungen. Dann bewirken alle Heilungsanstrengungen nur Symptomverschiebungen, bis endlich die Depression und deren Ursachen erkannt sind. Die Depression ist die häufigste seelische Krankheit. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt die Zahl schwerst depressiver Menschen in Deutschland auf  4 Millionen. Bis zum 65. Altersjahr sollen etwa 10 Millionen Deutsche eine schwere Depression durch gemacht haben, doppelt so viele Frauen wie Männer. Doch sterben Männer doppelt so häufig durch einen Suizid. Obschon familiäre Häufungen vorkommen, sind alle Versuche, eine genetische Disposition zur Depression nachzuweisen gescheitert. Wohl findet man bei depressiven Menschen erhöhte ACTH und Cortisolwerte, zu tiefes Serotonin und eine Verminderung der dendritischen Vernetzung der Nervenzellen in der CA3-Region des Hippocampus mit einer rechtsbetonten Volumenreduktion dieses Hirnareals des limbischen Systems. Doch ist diese Störung reversibel, nicht die Ursache, sondern eine Begleiterscheinung der Depression. Auch das kürzere Allel im Serotonintransportergen 5-HTTLPR hat sich als Erbfaktor für die Depression nicht bestätigt. Wohl findet man bei Depressionskranken verminderte Serotonin- und Noradrenalinspiegel, doch sind diese Veränderungen der Neurotransmitterkonzentrationen keine Ursache, sondern Begleiterscheinungen der Krankheit.  Serotoninerhöhende Antidepressiva können nicht heilen, nur lindern. Hypericum (Johanniskraut) ist neben den vielen chemischen Serotoninerhöhende Präparaten das Antidepressivum mit guter Wirkung und den geringsten Nebenwirkungen. Oft gehört es in die erste Wahl.

Die Heilung der Depression ist eine dankbare und vornehme Aufgabe. Niemals macht psychologisches Urteilen Sinn. Hier geht es um grössten Respekt, um das Verstehen tiefster Gefühle. Diese werden erlebt, ohne dass sie dem Bewusstsein zugänglich sind. Der erfahrene Arzt findet mit dem Patienten den Weg zu tiefsten Gefühlen. Sie gehören zu einer verborgenen Illusion, zu einer innersten Wahrnehmungsverzerrung,welche die Ursache der Krankheit ist. Sie stammt aus rühen biographischen Traumen oder derjenigen von Vorfahren, die sie nicht erkannt und dadurch weitergegeben haben, oft über Generationen. Eine traumatische Realität erzeugt reaktiv depressive Zustände, hier erkranken wir an der Realität. Eine Depression dagegen gehört zu frühen Traumen, die im heutigen Leben keinen Sinn mehr machen und dadurch zur Illusion geworden sind, einer Wahrnehmungsverzerrung, die unser Fühlen, Handeln und Meiden bestimmt, solange sie dem Bewusstsein nicht zugänglich ist. Durch ihre dominierende Stärke bestimmt diese Verzerrung der Wahrnehmung unser Leben, Fühlen und Handeln, sie bestimmt, was wir möchten und tun, was wir befürchten und was wir meiden. Sind wir gesund, so können wir damit umgehen und die Vernunft für realitätsbezogenes Denken meistens bewahren. Aber in der Depression übernimmt unsere tiefste innerste Fehlwahrnehmung die Führung über unser Bewusstsein und verfälscht den Bezug zur Realität.

Die grösste Hilfe zur Heilung leistet die therapeutische Induktion durch neue Lebensordnung, durch das gemeinsame analytische Gespräch des Arztes mit seinem Patienten und durch unsere Heildiät, welche uns empfindsam und zugänglich werden lässt. Ganz wesentlich für die Heilung ist zudem die ganz sorgsam gewählte homöopathische Arznei in ganz hoher Potenz. Von Nebenwirkungen geplagt, haben die Patienten chemische Antidepressiva oft selbst bereits abgesetzt. Meist können sie durch Hypericum ersetzt werden, das genauso in den Serotoninstoffwechsel eingreift aber kaum Nebenwirkungen hat. Die ganz spezifisch gewählte homöopathische Arznei leistet einen entscheidenden Beitrag zur Bewusstwerdung und zur Verhütung der Suizidalität (z.B. Aurum metallicum in der millionsten Potenz), während chemische Antidepressiva besonders anfangs die Suizidgefahr erhöhen. Motivation des Patienten und Geduld seiner Familie vorausgesetzt, ist die Heilung der Depression eine faszinierende Aufgabe für den Arzt und seinen Patienten, ein Weg, der sich lohnt.                       

Tipp:
Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit bei Kerzenlicht. Schreiben Sie ungeordnet alle Gedanken in ein Heft, dann Ihre Gefühle und Empfindungen, dann alle erfüllten und unerfüllten Wünsche. Was ist die Idee der Angst, das Schlimmste, das Ihnen passieren könnte? Von wem fühlen Sie sich wirklich verstanden, wen können Sie wirklich verstehen? Wie soll es in 10 Jahren sein? Gibt es Positives, Lichtblicke, Freude. Lebenssinn? Tun Sie dies 3 Mal pro Woche.

Ordnungsgesetze | Vom Werden des neuen Arztes | Handbuch 4