Rund um den Schlaf

  • Erstellt von Dr. med. Andres Bircher

In Deutschland leidet jeder dritte Erwachsene unter Ein- oder Durchschlafstörungen. Jeder Fünfte schläft schlecht und 18 % der Erwachsenen sind deswegen dauernd erschöpft, Frauen doppelt so häufig als Männer. Jeder 12 Deutsche nimmt regelmässig Schlafmittel ein.

Die Schlafforschung unterscheidet den gesunden Schlaf in folgende Phasen: Bewegen sich die geschlossenen Augen kaum, ist dies eine NON-REM Phase (Non-Rapid-Eye-Movement) Dies geschieht praktisch nur vor Mitternacht. Der NON-REM Schlaf wird unterteilt in N1 (Einschlafphase), N2 stabilen Schlaf) und N3 (Tiefschlaf). Diese zeigen im Elektroenzephalogramm eine ganz unterschiedliche Hirnaktivität.  Im NON-REM Schlaf werden Körpertemperatur und der Blutdruck deutlich abgesenkt. Dabei erfahren alle Organe eine tiefgreifende Erholung.

Nach Mitternacht gibt es fast nur noch den REM-Schlaf (Rapid-Eye Movement). Er wird auch desynchronisierter oder paradoxer Schlaf genannt. Dabei steigen Temperatur und Blutdruck an. Dies sind die Phasen intensiver seelischer Verarbeitung durch Träume. Damit wir nicht aufstehen und nachtwandeln, ist die Muskelspannung ausser derjenigen der Augen und des Zwerchfells herabgesetzt. Diese Schlaflähmung verhindert dass wir aufstehen und nachtwandeln. Neben Theta und Alphawellen findet man im EEG eine rege Beta-Aktivität, die sonst nur im Wachzustand vorhanden ist. Der REM-Schlaf intensiviert sich in der zweiten Hälfte der Nacht zusehends. Er dient nicht der Erholung, sondern der seelischen Verarbeitung von Eindrücken und Traumen. In den REM-Phasen baut sich das prozedurale Gedächtnis auf. Das prozedurale Gedächtnis wird auch Verhaltensgedächtnis genannt. Es speichert automatisierte Handlungsabläufe und Fertigkeiten wie für das Gehen, Radfahren, Tanzen, Autofahren, Klavierspielen, speichert also komplexe Bewegungsabläufe, die gelernt und geübt wurden und nach deren Speicherung durch die REM-Schlafphasen ohne nachzudenken ausgeführt werden können. Bei Entzug der REM-Phasen entsteht ein gesteigertes triebhaftes Verhalten: ein übersteigertes Hungergefühl, vermehrte sexuelle und aggressive Impulse, Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisschwäche. Dem REM-Schlaf wird eine grosse Bedeutung zugemessen für die Informationsverarbeitung, Triebregulierung und Stressbewältigung. Alle chemischen Schlafmittel unterdrücken gerade jene Hirnstromaktivitäten, welche im REM-Schlaf dominieren und erzeugen dadurch die hier beschriebenen Störungen.

Die Zeit zwischen dem Einschlafen und der ersten REM-Phase bezeichnet man als Rem-Latenz. Beim Gesunden beträgt diese etwa 90 Minuten. Bei Menschen, welche erst gegen Mitternacht zu Bett gehen, bei Schlafstörungen und bei Menschen mit Schlafzwang tagsüber (Narkolepsie) ist diese REM-Latenz stark verkürzt. Dies bedeutet, dass die tiefen, erholenden NON-REM-Schlafphasen praktisch fehlen. Damit fehlt uns eine genügende Erholung nicht nur des Herzens und des Kreislaufs, sondern aller Organe und erhöht unser Risiko für Bluthochdruck, für chronische Krankheiten durch eine zunehmende, tiefgreifende Erschöpfung.

Die Bindung der Schlafphasen an die Zeiten der Nacht ist bei jedem Menschen gleich. „Nachtmensch“ zu sein ist keine konstitutionelle Eigenschaft, sondern ein Fehlen an Lebensordnung, das unserer Gesundheit massiv schadet. Dadurch sind auch Schichtarbeit und Jet-Lag so schädlich. Auch wenn wir Ausnahmen nicht verhindern können, ist es ganz wichtig, die biologisch vorgegebenen Naturschlafzeiten einzuhalten, eine Lebensordnung, die sich lohnt.
Dr. med. Andres Bircher

Tippkasten:
Dreiwochentest: Verschieben Sie Abendarbeit auf fünf Uhr morgens. Verzichten Sie auf Kaffee und Alkohol, entfernen Sie Radiowecker, W-LAN, kabellose Telefone, Computer und Fernsehgeräte. Essen Sie abends nur Obst und Nüsse. Nach einer heissen Dusche um 20.30 Uhr begiessen Sie die Beine mit kaltem Wasser, legen sich zu Bett und löschen das Licht um 21 Uhr. Sie werden durch neues Wohlbefinden belohnt.