Warum wir barfuss laufen sollen

Dr. med. Andres Bircher
Am Anfang war nicht das Wort, sondern Gesten und Gebärden der Hände und Füsse. Anthropologen, Evolutionsgeologen, Genetiker und Linguistiker sind sich einig, dass die Gestik der Füsse und Hände wildlebender Schimpansen etwa der Sprachgestik gemeinsamer Vorfahren von Affe und Mensch entsprochen haben mag.

Die Füsse der Urmenschen waren kräftig und beweglich, mit der grossen Zeh konnten sie klettern und sich in Bäumen festhalten. Durch den aufrechten Gang und den tiefersitzenden Kehlkopf des homo habilis waren dann die Voraussetzungen für den Beginn der Sprachentwicklung gegeben, denn erst dadurch konnten in einem Atemzug mehrere Laute hinter einander gebildet werden. Von 1,8 Millionen bis zu 500'000 Jahren vor unserer Zeit soll der Homo erectus gelebt haben, der letzte gemeinsame Vorfahre des Neandertalers und des Homo sapiens. Primitive Urgesänge, die dazu dienten Partner zu werben oder soziale Bindungen zu stärken, gingen der Wortsprache voraus. Aus diesen Rufen der Urmenschen soll sich damals eine erste, primitive Lautsprache entwickelt haben. Säuglinge bereiten mit Gesten der Finger und Zehen die Spracheentwicklung vor: Bewegungen, die die neuronale Verschaltung des Broca`sche Sprachzentrums im Grosshirn der linken Schläfe aktivieren.

Bis vor 40‘000 Jahren gingen die Menschen barfuss. Sie hatten grosse, kräftige, bewegliche Zehen. Genau wie ihre Hände, brauchten sie die Füsse und Zehen zum Halten, Klettern, Schnitzen, und Arbeiten. Vorerst in Asien, später auch im amerikanischen Kontinent trugen schon damals gewisse Menschenstämme eine Art Schuhe. Auffallend viel kleiner waren die Zehen der Schuhträger als diejenigen der Barfussläuferstämme, so dass man annimmt, dass die Kraft und Beweglichkeit der Füsse durch das Tragen von Schuhen verkümmerten.

Die Entwicklung des Gehirns beginnt etwa in der 8. Schwangerschaftswoche. In den folgenden vier Monaten entstehen in der Hirnrinde des Embryos etwa 100 Milliarden Nervenzellen, also etwa 500‘000 Neurone pro Minute. Erst allmählich werden diese durch den genetischen Bauplan an ihren späteren Arbeitsplatz geleitet. Jede dieser Nervenzelle (Neurone), vernetzt sich vorerst ziemlich wahllos mit 1000 bis 10‘000 anderen Neuronen durch Synapsen (Schaltstellen). So entsteht ein gigantisches Netzwerk. Doch findet auch dieses seine sinnvolle Struktur erst durch die Verarbeitung der Reize aus der realen Welt.

Für die Wahrnehmung der Empfindungen unserer Füsse und die Feinbewegungen sind in unserem Grosshirn ebenso viele Nervenzellen (Neurone) angelegt, wie für unsere Hände. Doch ist deren Vernetzung verkümmert. Auch werden Nervenzellen (Neurone), die nicht genutzt werden, abgebaut. An Affen wurde gezeigt, dass durch gezieltes Training gewisser Finger, deren Zielareale im Grosshirn sich vergrössern. Heute ist nachgewiesen, dass das Gehirn in jedem Alter fähig ist, neue Nervenzellen zu bilden und deren Vernetzung laufend anzupassen. 

Für Kinder, aber auch für uns Erwachsene jeden Alters ist Barfusslaufen ganz wichtig. Kräftig wirkt es der Verkümmerung der Füsse und Zehen entgegen, kräftigt die Fussgewölbe und trainiert wichtige Hirnareale. Wie in der Iris der Augen, in der Mundhöhle, in den Händen, am ganzen Körper, finden sich neuronale Projektionen des ganzen Körpers wieder (Somatotope). Am bekanntesten sind diejenigen der Ohrmuscheln und der Sohlen unserer Füsse aus Akupunktur und Reflexzonentherapie.

Die Grosszehe stimuliert das Gross- und Kleinhirn und über die Hypophyse die hormonelle Regulation. Die 2. und 3. Zehe stimuliert das Auge und die 2. bis 5.Zehe die Stirnhöhlen, Kieferhöhlen und Zähne. Das Gelenk unter dem Ansatz der Grosszehe, worauf wir beim Gehen unser Gewicht abrollen, reguliert die Halswirbelsäule, stimuliert die Schilddrüse, die oberen Lymphwege und den Hals und das Grosszehengrundgelenk die Peristaltik des Magens und die Funktion der Bauchspeicheldrüse. Unter der Aussenseite der Füsse regulieren wir beim Barfussgehen das Vegetativum von Herz, Lunge, und Milz und unter dem grossen Fussgewölbe die Leber, Niere und den Dickdarm. Mit unserem Gewicht regulieren wir unter der Ferse bei jedem Schritt die Funktion von Enddarm, Blase, Prostata und der Geschlechtsorgane.

Füsse mögen keine Pantoffeln und keine Schuhe. Sie brauchen den Reiz der Umwelt, von Wärme und Kälte, von weich, hart, rau und zart, von nass und Trockenheit. Sie mögen lange Spaziergänge im Sand, über Wiesen, Kies und Steine. Dabei passen sie die Dicke der Hornhaut den Strapazen an, so dass uns beim Barfussgehen bald nichts mehr weh tut. Beginnen Sie in Ihrer Wohnung, dann draussen, im Wald, auf Wiesen und Wegen. Ein täglicher Spaziergang, der sich lohnt.                                                                              

Tipp:
Weibliche Eleganz erreichen Sie auch mit Ballerinas oder maximal 4 cm hohen Absätzen. Achten Sie beim Kauf darauf, dass die Grosszehe nicht nach innen aus ihrer Achse gedrückt wird. Diese geht von der Innenkante der Zehe zur Verlängerung des Innenknöchels. Gehen Sie zuhause immer barfuss oder mit rutschfesten Socken und barfuss im Wald, auf Wiesen, Wegen und Sandstränden. Ihre Füsse werden glücklich sein.

Handbuch 4 | Ordnungsgesetze