Wenn der Rücken uns Leiden macht

Dr. med. Andres Bircher
Rückenschmerzen sind der zweithäufigste Grund zum Arztbesuch. Jeder dritte Deutsche leidet derzeit daran. 70%  leiden mindestens 1 x /Jahr an Rückenschmerzen, am häufigsten zwischen dem 50. und 70. Altersjahr.

Dadurch machen Rückenschmerzen 15% aller Arbeitsunfähigkeitszeugnisse aus und sie sind die weitaus häufigste Ursache einer Frührente. So entsteht jedes Jahr ein volkswirtschaftlicher Schaden von 17 Milliarden Euros. Am häufigsten sind Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und im Kreuz-Darmbeingelenk des Beckens. Bei jüngeren Menschen wiegen Bandscheibenvorfälle vor, ab 50 Jahren die degenerativen Veränderungen an Wirbelgelenken (Osteochondrosen, Spondylarthrosen). Gleitwirbel durch angeborene Spaltbildung der Wirbelbögen (Spondylolisthesis) sind selten. Sie müssen früh erkannt und mittels Neuraltherapie angegangen werden. Damit erreicht man zuverlässig eine Stabilisierung und Schmerzfreiheit, so dass die operative Fixierung des Gleitwirbels nur selten notwendig wird. Bandscheibenvorfälle komprimieren nur selten die Spinalnerven, die, falls Lähmungen auftreten, innert 2 Stunden operativ entlastet werden müssen. Häufig sind akute (Hexenschuss) rezidivierende und chronische Ischialgien, wozu die Römer auf die berühmte, romantische, vor Neapel gelegene Insel Ischia zur Badekur und zur physikalischen Therapie gingen (daher der Name Ischias und Ischiasnerv).

Heute ist auch hier die Neuraltherapie das Mittel erster Wahl. Die Präzise und sorgsam ausgeführte Injektion von Procain an die Ischiaswurzel und die betroffenen Wirbelgelenke ist kaum schmerzhaft und äusserst effizient, wenn es um die dauerhafte Heilung von Bandscheibenvorfällen oder degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule geht. Procain regeneriert die Gewebe, während die Injektion von Corticosteroiden degenerativ einwirkt und besser unterlassen werden sollte.

Nicht nur der allgemein verbreitete Bewegungsmangel und falsche Sitzhaltungen am Computerplatz, zu schweres Heben von Lasten bei untrainiertem Rücken sondern auch ein ständiger Schlafmangel, Kränkungen und Ängste können Bandscheibenvorfälle auslösen. Von jedem Rückensegment gehen vegetative Nerven zu bestimmten Organen und Hautbezirken. Über Verschaltungen im Rückenmark sind diese mit ganz bestimmten Bewegungsketten der Muskulatur des ganzen Körpers, mit den Hirnnerven, und bestimmten Arealen des Stammhirns verbunden, so dass jeder Schmerz eines Rückensegmentes über den Thalamus, den Hippocampus und das limbische System die geistige Präsenz und ganz besonders auch die Stimmung, die seelische Verfassung und den Schlaf beeinflusst. Umgekehrt geht der Weg von jeder seelischen Regung, von ungeordnetem Schlafverhalten zu bestimmten Rückensegmenten hin und kann dort zu Schmerzen und degenerativen Veränderungen führen. Existenzängste greifen das Kreuzbeingelenk (Ilio-Sakralgelenk) und das unterste Lendensegment, Einschränkungen in der Möglichkeit sich zu wehren und durchzusetzen den Übergang zwischen der Brust- und der Lendenwirbelsäule und Minderwertigkeitsgefühle die Mittlere Brustwirbelsäule an, besonders bei Jugendlichen in gebückter Haltung und in raschem Wachstum (Adoleszentenkyphose, Scheuermannsche Krankheit). Chronische Verstopfung und Verdauungsstörungen greifen das 5. Lendensegment an, da der Dickdarm mit diesem verschaltet ist. Wegen der allgemeinen Fehlernährung sind darum Bandscheibenvorfälle und degenerative Schäden in diesem Segment besonders häufig. Leberbeschwerden (Fehlernährung oder Entzündung) oder chronische Gallenbeschwerden und Gallensteine schädigen besonders das 8. Brustwirbelsegment. Bei Herzkrankheiten wird das 5. Brustwirbelsegment schmerzhaft, gemeinsam mit reflexverbundenen Stellen am Brustbein und die Lungenkrankheiten greifen das dritte Brustwirbelsegment und die Knorpeligen Gelenke der Rippen am Brustbein an (Tietze-Syndrom). Die Halswirbelsäule zählt zwar nicht mehr zum Rücken, aber sie ist mit diesem und mit den Kopforganen des Hals-Nasenbereiches und mit den Zähnen verschaltet. Die unteren Halswirbelsegmente führen zu Nacken-Armschmerzen (Cervicobrachialgie) und die oberen Halswirbelsegmente zu quälenden Hinterkopfschmerzen (Zervicocephale Kopfschmerzen) und zu Schwindelzuständen, da sensible Nerven aus dem 1. und 2. Halswirbelgelenk, welche die Kopfhaltung kontrollieren, Fehlinformationen zum Labyrinth hin leiten. Herdbelastungen durch Schwermetalle (Amalgame) oder Zahnwurzelabszesse sind häufige Ursachen von Rückenschmerzen und müssen saniert werden. Diese komplexen Verschaltungen und Zusammenhänge zeigen, wie gross die Bedeutung einer ganzheitlichen Kenntnis und Sicht des Arztes und einer den naturgegebenen Umständen angepassten Lebens- und Ernährungsweise des Patienten zukommt. Ein neuer Lebensstil, eine naturbezogene Lebens- und Ernährungsweise, welche auf die biologisch vorgegebenen Bedürfnisse Rücksicht nimmt, ist die beste Prophylaxe und langfristige Therapie der Rückenleiden. Ein Weg, der sich lohnt.

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